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Eigene Texte

Beispiel 1

 

Wege des Wissens – Epochen der Menschheit in zwölf Bildern

 

Indien

Invasion und Apartheidspolitik: Damit beginnt die uns überlieferte indische Welt. Um 1500 v. Chr. erobern Arya, Arier, »Edle« aus dem Norden die Städte an Indus und Ganges. Die alte Induskultur ist verschwunden. Im mitgebrachten System der Kasten tragen sich die neuen Herren in den obersten Sparten ein: Priester, Krieger, freies Volk. Darunter rangieren die Drawida, die »dunkle« Urbevölkerung. Die soziologische Ord-nung wechselt, das Wunder Indien nimmt weiter seinen tropisch farbigen Lauf. Reiche entstehen und vergehen, Adlige und Fürsten metzeln sich im Machtgedränge, Radschas pflegen Künste und Prunk. Es ist das Zeitalter der Veden, des eifersüchtig verwalteten Zeremonienatlas der Priesterkaste.

Die blühenden Städte der Drawida sind verfallen, ihre Sprache ist vergessen, ihr Weltbild vermischt mit dem der Arya: Und wieder entsteht Endemisches. Was in den Breiten des Ganges in die Sinne dringt – feuchte Hitze, üppiges Wuchern und satte Verwesung –, führt nicht zur nördlicheren Schau von Linie und Form, Einheit und Sein. Im Pantheon der Inder sind 33.000 Gottheiten am Werk, hier dreht sich das Rad des Lebens unerbittlich und zieht die Wesen in seinen ewigen Kreislauf, von Wiedergeburt zu Wiedergeburt. Brahma erschafft unermüdlich die Welt, die Shiva von Mal zu Mal zerstört. Die Orgie des Werdens und Vergehens – Maya – bietet keinen Halt in der Hinwendung  zum Irdischen, sondern nur die Verheißung eines radikalen Hinaus: Moksha, Erlösung, der alle lebenden Wesen beseelende transzendente Auftrag des Nirvana, des Verlöschens im Brahman.

Die Spiritualität Indiens – das bedeutet religiöse Kraft, heilige Männer und Asketen im Überfluss. Aber auch Gaukeleien, müßige Spekulation und rituelle Komplikation: Um 500 vor Christus ist die Priesterkaste im Formalismus erstarrt. Siddharta tritt auf, macht mit der Erlösung Ernst, verbindet und konfrontiert: Gegen Kastenwesen und das Grübeln über Tausenderlei setzt er die Meditation, die Vier Edlen Wahrheiten. Seine Jünger geben ihm und damit der künftigen Weltreligion den Namen Buddha – der Erleuchtete. Im ersten Großreich Indiens unter dem edelmütigen König Ashoka wird der Buddhismus Staatsreligion. Im siebten Jahrhundert nach Christus ist er in Indien erloschen und macht der langsam heraufkommenden Religion des modernen Indien, dem allesumfassenden Hinduismus Platz.

© Horst Kappen 2000/2021